Empfehlungen für Implementierung von Waldorfschulsozialarbeit und ein Einblick in die tägliche Arbeit

 

Häufiger wird mir die Frage gestellt, was eine Waldorfschule bedenken sollte, wenn sie Waldorfschulsozialarbeit erfolgreich implementieren möchte.

Es braucht vor allem einen gemeinsamen Willen des Schulkollegiums für dieses neue Handlungsfeld. Um das zu ermöglichen, müssen alle Kolleg:innen die gleiche Idee entwickeln, was Waldorfschulsozialarbeit überhaupt alles beinhaltet und was eben auch nicht. Um erste Ideen und Impulse zu bekommen, werde ich gerne eingeladen um an den Waldorfschulen einen Vortrag zu halten. Wenn sich dann (die Schule) das Kollegium bewusst für Schulsozialarbeit entschieden hat, so braucht es eine fachliche Konzeptentwicklung als ersten Schritt. Nur so ist eine erfolgreiche Implementierung von Waldorfschulsozialabeit möglich. Auch diesen Schritt begleite ich als Konzeptberater. Konzeptentwicklung bedeutet zunächst eine Bestandsaufnahme und eine Bedarfsermittlung an der jeweiligen Schule durchzuführen.

Die Herausforderungen und Themen sind allerdings in meiner Erfahrung doch an fast allen Waldorfschulen recht ähnlich.

Und dennoch braucht es eine individuelle Bedarfsermittlung, da die personellen Voraussetzungen, Strukturen und Umgebungen, Schwerpunkte an Herausforderungen an jeder Waldorfschule variieren. Erst danach kann das Stellenprofil und der Stellenumfang ermittelt werden. Nachdem dann erfolgreich das Amt der Waldorfschulsozialarbeit besetzt wurde kann die Zielentwicklung beginnen. Dieser Schritt in der Konzeptentwicklung ist anspruchsvoll und das Herzstück jeder Konzeptentwicklung. Dort werden die Ziele für die ersten 2 Jahre festgelegt und mit Indikatoren für eine spätere Evaluation versehen.

Durch die formulierten Ziele im Konzept erhält das gesamte Kollegium Transparenz im Bezug darauf, welche Erwartungen erfüllt werden können und welche nicht.

Der Aspekt der Erwartungen des Schulkollegiums an die Waldorfschulsozialarbeit ist nach meiner Erfahrung ein Knackpunkt. Dort entscheidet sich ob die Implementierung gelingen wird oder (ob diese) in Zerwürfnissen endet. Deshalb braucht es die Zielentwicklung mit der Klärung der Erwartungen und Bedürfnisse Aller.

Als nächsten Schritt werden dann die Angebote und Aufgaben für die tägliche Arbeit beschrieben und festgelegt.

Zu einer professionellen Konzeptentwicklung gehören außerdem noch die Themen Arbeitsorganisation (z.B. Räumlichkeiten, Finanzierung, Rahmenbedingung), Qualitätsstandards (z.B. Supervision, Dokumentation der Arbeit, Weiterbildungen) (und schließlich die Planung der Evaluation nach einem Jahr praktischer Arbeit dazu.)

Abschließend muss das schriftlich ausgearbeitet Konzept noch dem Schulkollegium ausführlich vorgestellt werden. Erst danach kann die alltägliche Arbeit, und damit die zweite Phase der Implementierung beginnen.

Mein gesamtes Konzept im Rahmen eines Artikels vorzustellen ist aufgrund des Umfangs leider nicht möglich. Aber ich möchte einen Einblick in meine tägliche Arbeit geben.

Wie schon im Einführungsartikel erwähnt, setzte der Begriff Waldorfschulsozialarbeit sich aus dem Grundverständnis von Schulsozialarbeit nach Carsten Speck, der Waldorfpädagogik und dem Systemischen Ansatz und den daraus resultierenden Methoden zusammen. Aus diesen drei unterschiedlichen Ansätzen bilden sich meine Arbeitshaltung und meine Handlunsprinzipien heraus. Auf diese werde ich im Verlauf der Beschreibung meiner Zusammenarbeit mit den Zielgruppen Schüler:innenschaft, Eltern und Kollegium eingehen.

Auch die Netzwerkarbeit, also die Vernetzung mit anderen Vereinen, Kindergärten etc. oder auch die Zusammenarbeit mit externen Hilfen (Jugendamt, Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie etc.) ist ein wichtiger Aufgabenbestandteil für Waldorfschulsozialarbeit. Durch die Netzwerkarbeit, können einerseits die Kinder oder Familien in ein größeres Hilfenetz schneller eingebettet werden und andererseits wird die Waldorfschule dadurch in ihrem außerschulischem Sozialraum (Stadtteil, Gemeinde, Kiez) mehr integriert.

Neben den schon genannten Aufgabenbereichen habe ich bei uns an der Schule auch noch das Amt des „Kinderschutzbeauftragten“ inne. Diese Aufgabe beinhaltet einerseits bei Verdacht auf Kindeswohlgefährdung nach einem ganz klaren Fahrplan Hilfen, Gespräche und notwendige Schritte in die Wege zu leiten. Zum anderen bedeutet das Präventionsangebote und Schutzmaßnahmen, die im Rahmen des Konzeptes vorgesehen sind, zu koordinieren und auch teilweise durchzuführen. Workshops und Beratungsangebote zu Sucht- und Rauschmitteln, Gewalt und Sexueller Bildung gelten im Rahmen des Schutzkonzeptes als Präventionsangebote. Bei uns, an der Schule, wird die Sexuelle Bildung allerdings von „Prisma Berlin“ (Ganzheitliche Sexuelle Bildung) übernommen.

Zusammenarbeit mit den Schüler:innen.

Für die Zusammenarbeit mit den Schüler:innen in der Unter- Mittel und Oberstufe (letzteres wird bei uns in der Schule erst aufgebaut) stehen immer zuerst der Vertrauensaufbau und das Sichtbarmachen meiner Arbeit im Vordergrund. Dafür begleite ich die Pausen, Ausflüge oder auch manchmal die Klassenfahrten. Die Schüler:innen können mich in meinem Bauwagen, welcher als Beratungsraum und Büro gleichermaßen auf dem Schulhof steht niedrigschwellig aufsuchen um sich von mir beraten zu lassen. Sie kommen entweder einzeln oder in Gruppen um Konflikte jeglicher Art mit meiner Unterstützung zu lösen. Manche kommen auch um ihre Sorgen und Themen, die sich durch den Schulalltag oder in der Familie entwickeln, zu besprechen. Als Systemiker gebe ich grundsätzlich keine Ratschläge oder Lösungswege vor. Vielmehr befähige ich die Schüler:innen durch offene wertschätzende Fragen selbst Lösungen für ihre Herausforderungen und Konflikte zu finden, durch ressourcenorientiertes Arbeiten sie zu stärken und neue Perspektiven auf ihre Lebenswelt aufzuzeigen. Dabei wissen sie um meine Schweigepflicht und unabhängige Rolle in der Schule und somit um einen geschützten Rahmen. Zu meinen Aufgaben zählen auch Klassengespräche im Rahmen des „Klassenforums“ für welche eine Fachstunde ab Klasse 5 im Stundenplan vorgesehen ist. Hier soll die Klasse lernen ihre Themen und Ideen mit Hilfe der Methode „Klassenrat“ selbstständig zu diskutieren. Hier können auch Klassenkonflikte ihren Raum finden und durch meine Moderation gelöst werden. Sollten in den Klassensystemen besondere Phänomene, wie Mobbing, übermäßiger Rausch- und Suchtmittelmissbrauch, Magersucht etc. auftauchen, wäre ich, als Waldorfschulsozialarbeiter, auch unterstützend und beratend – zur Not auch intervenierend tätig. Hierfür ist natürlich eine enge Zusammenarbeit mit dem Klassenteam (Klassenlehrer:in und Hortteam) sehr wichtig. Bei Mobbing und der damit einhergehender Gewalt setzte ich den „No blame Approach“-Ansatz gerne ein (siehe Artikel der Kollegin zum Thema Mobbing).

Außerdem biete ich die Konfliktlotsenausbildung ab Klasse 5 als freiwilliges Angebot an. Hier lernen die Schüler:innen konstruktiv mit Konflikten umzugehen und ihre Bedürfnisse und Wünsche zu artikulieren. Wenn sie die Ausbildung nach einem halben Jahr abgeschlossen haben profitiert die Schüler:innenschaft von der Peermediation auf dem Schulhof.

Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten und Familien

In der Waldorfpädagogik gilt die Zusammenarbeit mit den Eltern oder Erziehungsberechtigten als ein unabdingbarer Bestandteil der pädagogischen Arbeit. Die Bezugspädagog:innen bilden mit den Eltern eine Erziehungsgemeinsaft. Auch in meinem Konzept ist die Familienarbeit zentraler Bestandteil. Dabei gilt für mich der Grundsatz: Die Eltern sind die Expert:innen ihrer Kinder! Mit dieser systemischen Haltung begegne ich ihnen auf Augenhöhe ohne Expertenwissen oder Ratschlägen. Vielmehr nehme ich eine nichtwissende, neugierige, allparteiliche und wertschätzende Haltung an. Durch die Systemischen Familien- und Erziehungsberatung ermögliche ich eine neue Perspektive auf ihr Familiensystem zu entwickeln und ihre Probleme im Kontext ihres Familiensystems zu betrachten.

In der Systemischen Beratung wird die Haltung vertreten, dass nicht der einzelne Mensch, der Symptome zeigt, krank ist oder Probleme hat. Vielmehr offenbart ein Phänomen – wie z.B. ein verhaltensauffälliges Kind – die dysfunktionalen Interaktionen innerhalb eines Systems, z.B. das Familien- oder Klassensystem. Der Symptomträger macht also auf die negativen Wechselbeziehungen des Systems aufmerksam. Das systemische Denken lässt sich also auch auf die Herausforderungen der Klassensysteme oder des ganzen Schulsystems übertragen.

Mein Angebot der systemischen Erziehungs- und Familienberatung wird von den Familien oft genutzt. Auch hierbei spielt die Schweigepflicht eine wichtige Rolle, denn die Inhalte der Gespräche dürfen nur mit Schweigepflichtsentbindungen an die Pädagog:innen oder andere Kolleg:innen (zum Beispiel Mitglieder des Förderteams) weitergegeben werden. Somit haben die Familien ein unabhängiges und niedrigschwelliges Angebot um sich bei herausfordernden familiären Umständen beraten zu lassen. Bei komplexeren Familienthemen ist es meine Aufgabe an externen Hilfen wie zum Beispiel Familientherapie oder Familienberatung, Kinder- und Jugendpsychotherapie, Schulpsychologischer Dienst, Familienhilfe, Einzelfallhilfe, Ergotherapie und Familienmediation weiterzuvermitteln. Der jeweilige Bedarf wird gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten erarbeitet.

Bei etwaigen Konflikten zwischen Pädagog:innen und Erziehungsberechtigten kann die Waldorfschulsozialarbeit auch als Mediations-Angebot wahrgenommen werden.

 

Zusammenarbeit mit den Pädagog:innen

In der Zusammenarbeit mit den Pädagog:innen gilt für mich folgendes Handlungsziel „Entlastung durch Unterstützung“.

Die anfängliche Befürchtung der Kolleg:innen, ich könnte den Pädagog:innen die Beziehung zu den Schüler:innen „wegnehmen“ hat sich durch dieses Ziel nicht bewahrheitet. In der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Klassen- und Fachlehrer:innen sowie den Erzieher:innen im Hort geht es darum im Kollegium eine weitere Perspektive auf einzelne Schüler:innen, sowie den Klassenorganismus anzubieten.

Das anthroposophische Menschenbild und der damit verbundene Blick auf die Entwicklung des Kindes prägen meine Arbeit. Waldorfpädagogische Methoden, wie die Kinderbetrachtung oder der Blick auf den Klassenorganismus finden sich in meiner alltäglichen Arbeit wieder. Ich unterstütze die Klassenteams bei der Formung der Klassengemeinschaft durch z.B. erlebnispädagogische Elemente.

Ich nehme an den pädagogischen Gesamt- und Klassenkonferenzen teil und bin Mitglied im Förderkreis (bestehend aus unserem Schularzt, dem Heileurythmisten, der Förderlehrerin und Integrationserzieherin).

Bei herausfordernden Verhalten oder Konflikten mit Schüler:innen und Familien biete ich kollegiale Beratung an, in denen Lösungsstrategien unter der Berücksichtigung der Selbstreflexion erarbeitet werden. Sollte das Verhalten eines/einer Schüler:in die Kompetenzen der Pädagog:innen übersteigen, s

 

So lässt sich die Waldorfschulsozialarbeit abschließend wie folgt zusammenfassend definieren:

Waldorfschulsozialarbeit wird als ein Angebot der Waldorfschulen verstanden, in dem sie die Entwicklungsphasen mit ihren Herausforderungen und Chancen durch präventive und intervenierende Angebote unter Berücksichtigung der Waldorfpädagogik und des systemischen Ansatzes unterstützend begleitet und mit den Zielgruppen SchülerInnen, LehrerInnen und Erziehungsberechtigten auf einer freiwilligen, partnerschaftlich-kollegialen Ebene zusammenarbeitet und zwischen ihnen vermittelt.
Waldorfschulsozialarbeit soll ein Repertoire von professionellen Angeboten und Methoden aus der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und aus dem systemischen Ansatz im Besonderen beinhalten, damit SchülerInnen in ihrem Lebensmut und ihrer Selbstwirksamkeit befähigt und in ihrer individuellen Entwicklung gefördert werden können.